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11. Dezember 2017
Wolkenblau von Birthe zur Nieden
Sie konnte an nichts anderes mehr denken. Das war deutlich zu sehen. Der weihnachtliche Spielwarenkatalog, den Karin erst von einer Woche mitgebracht hatte, war schon ganz zerlesen. So oft hatte Marie eine bestimmte Seite angeschaut. Ausgerechnet diese pastellfarbenen Plüscheinhörner hatten es ihr an-getan. Oder, nein, nicht alle, nur das eine, das hellblaue. Es hatte sogar schon einen Namen bekommen. „Mama, ich wünsch mir Wolkenblau sooo doll“, tönte es Karin vom Hochbett entgegen, als sie zum Gutenachtsagen ins Zimmer kam. Sie trat ans Bett heran und nahm ihrer Tochter den Katalog vom Kopfkissen. „deswegen musst du noch nicht darauf schlafen, oder?“ fragte sie und drückte Mari einen Kuss auf die Stirn. „Wolkenblau ist so wunderschön“, seufzte Marie. „wann ist denn endlich Weihnachten?“ „Noch anderthalb Wochen. Gar nicht mehr lang. Aber vielleicht bekommst du zu Weihnachten ja auch was viel Schöneres als das Einhorn, wer weiß?“
„Was Schöneres gibt’s gar nicht!“, erklärte Maire im Brustton der Überzeugung. Karin lächelte und dachte mit etwas Widerwillen an das kitschige Tier, das längst in seinem Versteck in ihrem Kleiderschrank auf Weihnachten wartete. Marie zog die Stirn in Falten. „Vielleicht…gibt’s ja doch was Schöneres. Das Jesuskind war bestimmt schöner, oder, Mama?“. „Hm, schöner… vielleicht“, überlegte Karin. „Aber eigentlich war es ja auch ein ganz gewöhnliches Kind. Das Schönste ist, das Jesus gekommen ist, weil er uns so lieb hat. Nicht, wie er aussah. Eigentlich ist Jesus das schönste Geschenk, das wir an Weihnachten kriegen.“
Marie war wieder einen Moment still, aber Karin sah, wie es in ihr arbeitete, darum wartete sei. Schließlich war der Gedanke fertig zusammengeballt und kullerte aus Maries Mund: „Haben die Hirten sich das Jesuskind gewünscht? Ganz doll? Und dann hat Gott es ihnen geschenkt?“
Karin musste diese Wendung erst mal selbst zu fassen bekommen. „Ja, tatsächlich, du hast recht, so ähnlich war das damals“, sagte sie schließlich langsam. „Die Menschen in Israel haben sich gewünscht, dass Gott kommt und ihnen hilft, weil es ihnen so schlecht ging. Und an Weihnachten ist er tatsächlich gekommen. Aber die meisten haben das gar nicht verstanden, weil er so anders war, als sie sich das gedacht hatten. So klein und gar nicht besonders schön.“ „Ich wünsche mir Wolkenblau und der ist schön“, murmelte Marie, der die Augenlider langsam schwer wurden. „Aber Jesus wünsche ich mir auch.“ Damit schlief sie ein.
Karin zog noch einmal die Bettdecke zurecht, knipste die kleine Mondlampe aus und schlich sich dann aus dem Zimmer. Sehr nachdenklich. Eigentlich, dachte sie, müsste man das auch. Sich Jesus wünschen. Wenn sie morgens ihre Bibel las, war das oft nur Routine. Vielleicht fehlte ihr der Wunsch, Jesus zu begegnen…? So ein starker Wunsch wie der von Marie nach „ihrem“ Einhorn. Eigentlich müsste die Bibel so zerlesen sein wie der Spielwarenkatalog, denn darin fand man schließlich etwas, das viel schöner war als alle Wünsche. Darin fand man das Kind in der Krippe, das später für alle Menschen sein Leben gab. Den Retter der Welt. Karin ging ins Schlafzimmer, öffnete den Kleiderschrank und schaute das Einhorn an. Kitschig war es, zweifellos. Aber das störte sie gar nicht mehr so sehr. Wenn sie das Kuscheltier sehen würde, würde sie sich künftig an den größten Weihnachtswunsch erinnern - und an seine Erfüllung.
„Na, Wolkenblau“, sagte sie leise und streichelte über die weiche blaue Mähne, „freust Du Dich schon auf Weihnachten, wenn Du Maries Wunsch erfüllst? Ich mich schon.“