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16. Dezember 2016
Mit einfachen Spielszenen untermalt hörten wir die Geschichte des Hirtenjungen Simon:
Die vier Lichter des Hirten Simon
Zweitausend Jahre ist es nun schon her, da hütete der Hirte Simon im fernen Land Galiläa
die Schafe. Es war ein grauer Tag. Schwere Nebellagen über dem Boden. Abdon, der Mann
dem die Schafe gehörten, schaute vergeblich nach der Sonne aus. So schickte er die Hirten
Jakob und Simon auf eine höher gelegen Wiese. Dort, über dem Nebel, sollten sie die
Schafe weiden.
Simon drängte sich an Jakob. Im dichten Nebel war es ihm unheimlich. Er war noch jung,
erst neun Jahre alt. Jakob aber war gross und stark. Schützend legte er Simon den Arm um
die Schultern.
Da sprang ein schneeweisses Lamm herbei. Es blökte ängstlich. Jakob nahm das Lamm und
legte es Simon in die Arme. "Hier", sagte er. "Du darfst unser kleinstes Lamm tragen. Hüte es
gut!"
Simon freute sich und liess das Lamm nicht aus den Augen. Nachts durfte es sogar unter
seinem Mantel schlafen. Das gab beiden Wärme und Zutrauen.
Sechs Tage blieben Jakob und Simon auf den Hängen, dann wurde es Zeit, die Schafherde
für die Heimkehr zusammen zu treiben. Die Wiesen waren abgegrast, Abdon musste ihnen
eine neue Wiese zuweisen.
Simon wollte helfen. Doch Jakob schüttelte den Kopf. "Du und das Lamm, ihr ruht euch aus,
bis ich die Schafe beieinander habe."
Simon war froh. Das Lamm hatte ihn ganz schön auf Trab gehalten. Immer wieder war es
davongelaufen und musste eingefangen werden: Simon liess sich unter einem Olivenbaum
nieder und schloss müde die Augen. Das Lamm kuschelte sich dicht an ihn.
Da breitete sich ein wundersamer Duft aus, ein Duft von Rosen, Lilien und Mandelblüten.
Simon versuchte, die Augen zu öffnen, aber die Lieder waren zu schwer. Jetzt glaubte er,
auch einen fröhlichen Gesang zu hören. Immer deutlicher. Dann trat plötzlich Stille ein. Auch
der süsse Duft verflüchtigte sich.
Endlich gelang es Simon, die Augen zu öffnen. Vor ihm stand Jakob. Ernst blickte er Simon
an und fragte: "Wo ist das Lamm?"
Simon erschrak. Eben hatte das Lamm doch noch neben ihm gelegen! Simon sprang hoch.
Er rief nach dem Lamm. Er lockte es an. Doch kein vertrautes Blöken antwortete. Er suchte
es überall. Vergeblich.
"Komm, wir müssen die Herde heim treiben", sagte Jakob. Traurig trottete Simon neben der
Herde einher. Wo war sein Lamm? War ihm etwas zugestossen? Was würde Abdon sagen?
Abdon war sehr verärgert, als sie spät nachts ankamen und Simon erzählte, wie sein Lamm
verloren gegangen war.
"Das ist doch alles Unsinn, was du mit da erzählst von einem wundersamen Traum,
schimpfte Abdon. "Geschlafen hast du, statt aufzupassen!" Wütend schüttelte er Simon an
den Schultern. "Sofort machst du dich auf den Weg. Aber wage es nicht, ohne mein Lamm
wiederzukommen!", drohte er.
Jakob machte sich Sorgen, den Jungen so alleine gehen zu lassen. Aber er konnte nichts
gegen Abdon tun. So ging er in seine Kammer und holte die Laterne mit den vier Lichtern,
die er einst von einem Wanderer bekommen hatte mit den Worten: "Sie werden dem im
Dunkeln leuchten, der in Not ist."
Nun gab Jakob die Laterne an Simon weiter und sagte: "Trage den vier Lichtern Sorge, dann
werden sie dir auf dem Weg leuchten."
Simon nahm die Laterne mit den vier Lichtern und in seinen Händen leuchtete sie auf.
Zuversichtlich machte sich Simon auf den Weg, sein Lamm zu suchen. Die ganze Nacht und
den ganzen Tag hatte Simon die Hänge abgesucht, aber keine Spur von seinem Lamm
entdeckt.
Schon ging die Sonne wieder unter. Sollte er überhaupt noch weitersuchen? War nicht alles
sinnlos? Er gab die Hoffnung beinahe auf. Da regte sich nicht etwas hinter dem Felsen? War
es sein Lamm? "Lamm, kleines Lamm komm!", lockte Simon hoffnungsvoll.
"Ho!“, brummte eine tiefe Männerstimme. "Was suchst du? Ein Lamm?" Vor ihm stand ein
grosser Mann. Simon erschrak. Er wollt davonlaufen.
"Vor mit brauchst du nicht davonlaufen", sagte der Mann. "Doch wenn du ein Lamm suchst,
dann findet du es im Olivenhain hinter jenem Felsen. Ich habe es gesehen. Es ist klein und
schneeweiss."
"Das ist mein Lamm!" freut sich Simon. "Du hast mein Lamm gefunden! Danke! Kann ich dir
irgendwie helfen?"
"Helfen? Mir kann niemand helfen. Mein Weg ist im Dunkeln", sagte der Mann leise.
"Dunkeln? Nein!" rief Simon und hielt dem Mann eines seiner Lichter hin. "Hier, nimm es. Es
wird deinen Weg erhellen. Was soll ich mit vier Lichtern, wenn du keines hast. Drei Lichter
sind genug für mich." "Du willst mir ein Licht schenken?
Mir?", wunderte sich der Mann und nahm das Licht. " Du bist der erste Mensch, der
freundlich zu mir ist. Danke. Danke, mein Junge!", sagte der Mann und im Weggehen
flüsterte er vor sich hin: "Dabei bin ich ein Dieb."
Die Nacht war hereingebrochen. Simon lief in den Olivenhain, um endlich sein Lamm zu
finden. Aber von seinem Lamm war nichts zu sehen. Hatte es sich versteckt? Dort, in der
Höhle, regte sich etwas. Simon rannte hin. War es sein Lamm? Nein, es war ein Wolf! Schon
schnappte er nach seinem Mantel. Simon zitterte. Er versuchte, sich loszureissen. Sofort gab
der Wolf ihn frei. Er winselte und leckte seine Pfote.
Da erst sah Simon die blutende Wunde an seiner Pfote. Alle Angst war verflogen- Schnell
riss er ein Stück Stoff von seinem Mantel ab und verband vorsichtig die Wunde.
"Nun bleib brav liegen", sagte er, "damit die Wunde heilen kann!"
Simon stand auf, um weiterzugehen und sein Lamm zu suchen. Doch der Wolf zerrte wieder
an seinem Mantel und sah ihn an. "Ich soll bei dir bleiben? Ist es das, was du sagen
möchtest?" Simon streichelte den Wolf. "Das kann ich nicht. Ich muss das Lamm suchen.
Vielleicht braucht es meine Hilfe, wie du."
Nach kurzem Überlegen stellte er eines der Lichter neben den Wolf. "Hier, Wolf, hast du ein
Licht. Es wird dich wärmen. Zwei Lichter sind genug für mich. Jakob wird das begreifen."
Dankbar blickte der Wolf ihm nach.
Wo sollte Simon nun noch das Lamm suchen? Lange irrte er umher bis er bei Tagesanbruch
in eine kleine Stadt kam. In einer Strasse traf er einen Bettler an. „Eine Gabe, nur eine kleine
Gabe!" rief der Mann.
„Ich habe doch selber nichts", sagte Simon und blieb stehen. "Ich bin nur der Hirte Simon
und habe mein Lamm verloren!" "Ein Lamm?"
"Ja, es ist mir davongelaufen. Hast du es vielleicht gesehen?"
,,0 nein! Ich sehe nur Hunger und Not", antwortete der Alte. „Ich lebe mit den Ärmsten weit
draussen in einer finsteren, kalten Grotte."
"Nimm wenigstens dieses Licht von mir", sagte Simon. "Es wird euch etwas Wärme und Licht
geben. Mehr habe ich nicht", fügte er hinzu.
Der Alte nahm das Licht und stand auf. "Danke! Hoffentlich findest du bald dein Lamm."
Und jeder ging seinen Weg.
Simon hatte im Städtchen herumgefragt. Vergeblich. Keiner hatte sein Lamm gesehen. Er
war entmutigt. Sein letztes Licht leuchtete nur noch schwach. Als die Nacht hereinbrach,
setzte er sich draussen vor der Stadt müde an den Wegrand.
Da hüllt ihn wieder dieser wundersame Duft ein. Der Duft von Rosen, Lilien und
Mandelblüten.
Woher kam dieser betörende Duft? Simon stand auf. Nun hörte er auch den fröhlichen
Gesang. Er schaute sich um.
Da entdeckte er Licht in einem Stall. Er ging darauf zu und trat zögernd ein. Simon konnte
kaum etwas erkennen. Er blieb stehen und blinzelte. Da schimmerte etwas weiss im
Halbdunkel. Es war sein Lamm! Sein verlorenes Lamm!
"Tritt näher", sagte eine freundliche Stimme. Simon konnte nicht antworten. Er war so
glücklich. Dann sah er das Kind Es lag auf Stroh ganz dicht bei seinem schneeweissen
Lamm!
Simon kniete nieder und schenkte dem Kind sein letztes kleines Licht. Nun noch schwach
glühte die Flamme. Doch seltsam! Wie von unsichtbarer Hand entzündet, flammte das Licht
auf. Sein Leuchten breitet sich aus und erfüllt den ärmlichen Raum mit festlichem Glanz.
Am Himmel strahlten die Sterne heller und heller und der frohe Gesang klang weit hinaus bis
zu den Hirten auf dem Feld.
Bilderbuch von Marcus Pfister /Gerda Scheidl